Visuals By Carla Mianowski-Wesseling
Synopse von Sapucaiu no Samba zum Karneval der Kulturen 2023
Seit Jahrzehnten warnen Wissenschaftler:innen vor den Folgen menschlichen Raubbaus an den Naturressourcen unseres Planeten: Der stumme Frühling, die Grenzen des Wachstums, das Waldsterben und der Erdgipfel sind nur die ältesten und bekanntesten Warnungen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen mit Konferenzen, Krisen und Katastrophen die seither Einzug hielten. Geflissentlich wurden die immer deutlicher werdenden Probleme kleingeredet, ignoriert, weggewischt, waren Wirtschaft und sozio-kulturelle Konflikte vermeintlich wichtiger. Zusätzlich regierte eine Partikularsicht, so als ob jedes strittige Thema für sich stünde und bearbeitet werden müsse, als ob Klimawandel, Artensterben, Flucht und Krieg nichts oder nur wenig miteinander zu tun hätten. Dabei völlig außer Acht lassend, dass wir Teil des globalen Ökosystems sind, somit auch nur systemische Ansätze die Fragen annähernd in ihrer wahren Dimension erfassen und Lösungen bereithalten können.
In der einsetzenden Klimakatastrophe und der damit zu erwartenden Heißzeit kommt den Wäldern der Welt eine Schlüsselrolle zu, um die heftigsten Folgen abzumildern. Ihre Fähigkeit, ihre Umwelt zu ihrem eigenen Besten und damit zum Besten für so viele Arten – nicht zuletzt den Menschen – zu beeinflussen, versetzt uns in Erstaunen und macht uns demütig. Damit die Wälder dies jedoch vermögen, müssen sie als Ökosysteme intakt sein, so wie es beispielsweise der tropische Regenurwald mancherorts noch ist. Wir sollten besorgt auf seine fortgesetzte Vernichtung blicken, ja, doch auch und ganz besonders vor unserer eigenen Haustür ist der Wald nur noch ein Schatten seiner selbst.
Heute gibt es in Deutschland keinen Quadratmeter Urwald mehr. Die ältesten forstlich ungenutzten Waldflecken sind dies erst seit etwas mehr als 100 Jahren und sie sind winzig im Vergleich zur Waldfläche. Man beruft sich gern darauf, dass der Nachhaltigkeitsbegriff vor 300 Jahren in Deutschland geprägt worden sei und aus der Forstwirtschaft stammen solle. Dabei ist er, wie auch Förster:innen und Forstwissenschaft, Kind des allergrößten Mangels, nämlich am Rohstoff Holz. Es handelte sich mithin um eine reine Mengennachhaltigkeit und die geregelte Forstwirtschaft seit dieser Zeit kann getrost als Holzackerbau bezeichnet werden, ohne die Nöte jener Epochen kleinzureden und mit großem Respekt vor der Leistung einer Aufforstung riesiger entwaldeter Landstriche. Allein, bereits im 19. Jahrhundert regten sich warnende Stimmen und wurden Alternativen aufgezeigt, die eine Holznutzung bei gleichzeitiger Beachtung ökosystemarer Gesetze ermöglichen sollten, vorläufig gipfelnd im Dauerwaldgedanken um das Jahr 1922: Naturgemäße Waldwirtschaft statt Forstwirtschaft des maximalen Holzertrags. Unglücklicherweise hat sich, entgegen aller Hochglanzbroschüren der staatlichen Forstverwaltungen, dieses technokratische Verständnis bis heute behauptet und ist – schlimmer noch – die Theorie von im Kielwasser einer geregelten Forstwirtschaft mitschwimmenden Gemeinwohlleistungen, fest in den Köpfen der meisten Förster:innen verankert. Als weiteres Übel darf die Vergnügungsjagd einer Politik- und Kapitalelite genannt werden, für die der Wald nur als Kulisse dient.
Brandenburg ist bis heute in ganz besonderem Maße betroffen. Einerseits gibt es hier noch immer relativ große zusammenhängende Gebiete auf denen Bäume stehen, den schlechten Böden gedankt, die eine Landwirtschaft oft nicht rentabel machen. Andererseits ist der Anteil von naturfernen Monokulturen der Waldkiefer riesig, war und ist der brandenburgische Wald doch Spielball von schädlichen Interessen. Die Mächtigen aus Berlin, dem politischen Zentrum der Preußen, Nationalsozialisten und SED-Elite, verlustierten sich in ihm bei der Jagd, hegten astronomische Bestände an Hirschen, Rehen und Wildschweinen heran und ihr Geist von Waidgerechtigkeit und Trophäenkult irrt bis heute durch die Köpfe von wohlhabenden Jagdpächter:innen und ihren Steigbügelhalter:innen. Es muss leider in aller Deutlichkeit gesagt werden, dass die verfehlte Jagd, ihre Gesetzgebung und ökosystemvergessene Indoktrinierung der allermeisten Jagdscheininhaber:innen, zu derart hohen Wildbeständen von Rehen, Hirschen und Wildschweinen geführt haben und immer noch führen, dass ohne eine drastische Reduzierung praktisch keine natürliche Waldentwicklung in naher Zukunft möglich ist. Die Rückkehr von Wolf und Luchs ist dabei ein Grund zu großer Freude, ihr Einfluss auf die wilden Paarhufer bleibt abzuwarten. Die Förster:innen, lange Zeit willfährige Erfüllungsgehilf:innen der Hegejagd, mussten das für die Wirtschaft benötigte Holz zur Verfügung stellen und sie taten dies auf großer Fläche frei nach dem Motto „Kahlschlag, pflügen, pflanzen“. Die Wahl fiel auf die Waldkiefer, da sie recht anspruchslos ist, vergleichsweise schnell und gerade wächst, ihre Bewirtschaftung nach immer gleichem Schema einfach scheint und sie den Wildtieren normalerweise nicht schmeckt. Normalerweise, denn in diesen Kiefernwüsten finden die viel zu vielen Hirsche so wenig saftige Nahrung, werden sie noch mit Salzlecksteinen angelockt, die ihren Durst weiter steigern, dass sie beginnen die Rinde der jungen Bäume abzuschälen. Weitere Probleme traten zutage, wie das massenhafte Auftreten sogenannter Kieferngroßschädlinge, hauptsächlich bestimmte Schmetterlingsarten, deren Raupen die Kronen kahlfressen und die Bäume damit zum Absterben bringen. Sie sind das Pendant zu den Borkenkäfern der Fichte und konnten nur zur „Katastrophe“ führen, weil die unnatürlichen Holzplantagen mit ihren gleich alten, gestressten Bäumen ein gefundenes Fressen sind. Statt die erwartbare Anfälligkeit anzuerkennen und umzudenken, wurde und wird Gift verspritzt. Auch Waldbrände sind ein Phänomen, das im Grunde nur in solchen Forsten auftaucht und der Funke kommt in der Regel vom Menschen, denn selbst bei größter Trockenheit und höchsten Temperaturen ist eine Selbstentzündung ausgeschlossen. Noch ist der Wald in Brandenburg von großflächigen Verlusten verschont geblieben, vergleicht man ihn mit den Fichtenregionen und den seit 2018 über 500.000 Hektar Kahlflächen. In der sich immer weiter beschleunigenden Klimakatastrophe gilt jedoch als sicher, dass dies nur noch eine Frage der Zeit ist. Anstatt größte Vorsicht walten zu lassen, wird die Forstwirtschaft aber immer weiter industrialisiert, werden vermeintliche Wunderbaumarten aus fernen Ländern angepflanzt, soll immer noch mehr Holz genutzt werden, weil das Bauen und Verbrennen fälschlicherweise als klimaneutral gilt, werden Böden mit tonnenschweren Maschinen auf lange Zeit unwiederbringlich verdichtet und Arten vernichtet.
Ist also alles zu spät? Ist der Wald, sind wir verloren? Nein, wir haben es noch immer in der Hand! Viel wird sich verändern, aber das Schlimmste kann verhindert werden. Eine große sozial-ökologische Gesellschaftstransformation ist dafür nötig und einer ihrer Bausteine ist es, endlich die Entwicklung möglichst naturnaher Wälder zu ermöglichen. Dazu braucht es nicht viel, denn der Wald will von ganz allein zu seinem Optimum und er könnte es noch: Aus sommergrünen Laubbäumen besteht er, ist dämmrig, kühl und feucht, kaum ein Windhauch ist in seinem Innern zu spüren. Seinen eigenen Regen kann er machen und unter ihm bildet sich neues Grundwasser. Starkregen versickern, statt zu Sturzbächen anzuschwellen und menschliche Behausungen fortzureißen. Die Luft macht er nicht nur sauerstoffreicher, sondern er reinigt sie auch. Tausenden von Tier- und Pflanzenarten ist er ein Zuhause, von den unzähligen Pilzen, Flechten und Bakterien ganz zu schweigen.
Was wir für den Wald tun können, ist vor allem dies: Ihn in Ruhe lassen. Geschehen lassen. Zusehen, lernen und staunen. Weniger Holz und Papier verbrauchen. Der industriellen Forstwirtschaft und ewiggestrigen Hegejagd Fragen stellen, kritisch auf die Finger schauen und wenn nötig hauen – meist ist es nötig. Ökolog:innen und Klimaforscher:innen zuhören. Denn wer überwacht die beamteten „Wächter des Waldes“?
2019 brachte Sapucaiu no Samba das Thema des kulturellen und biologischen Reichtums des tropischen Regenwaldes in Brasilien auf die Straßen Berlins. In jenem Jahr war Jair Bolsonaro als Präsident vereidigt worden, unter dessen Herrschaft eine nie gekannte Beschleunigung der Abholzung des Regenwalds und Diskriminierung der indigenen Völker Brasiliens stattgefunden hat. Bereits 2020 wollten wir den Blick auf den Wald vor unserer Haustür richten, doch die Corona-Pandemie ließ den Karneval ein ums andere Jahr ausfallen. Ein Virus übrigens, das vermutlich aufgrund anhaltender Naturzerstörung seinen Weg zu uns Menschen fand. Heute, im Jahre 2023, haben wir halbwegs gelernt mit dem Virus umzugehen und dürfen unseren Karneval wieder feiern. Lula, der neue, alte Präsident Brasiliens, will die Entwaldung stoppen. Die Bedeutung der Klimakatastrophe scheint nach fünf Jahren des Extremwetters in Folge endlich auch bei der breiten Masse der Gesellschaft angekommen zu sein, doch die politischen Entscheidungsträger:innen handeln noch immer nicht. Unseren Wäldern geht es schlecht wie nie, sie sterben. Wir werden ihnen folgen, wenn wir unseren Lebensstil nicht ändern. Zeit, dass sich etwas wandelt!